
2012 hat die Stadt Eberswalde das Bürgerbudget eingeführt – der erste direktdemokratische Bürgerhaushalt. Wie stark hat das Verfahren dadurch an Akzeptanz gewonnen?
Ein Bürgerbudget hat nicht den Anspruch, eine Vision für die Entwicklung einer ganzen Stadt zu liefern. Hier geht es darum, für sichtbare Ergebnisse zu sorgen und Projekte umzusetzen. Selber zu entscheiden und im nächsten Jahr das Resultat sehen zu können, sind wertvolle Erfahrungen für die Menschen. Es wirkt vertrauensbildend und schafft eine lokale Identität. Außerdem können die Menschen im Rahmen des Bürgerbudgets einiges über Ihre Stadt lernen, z.B. was die Kosten für einen Meter Gehweg, ein Sonnensegel oder Hundeauslaufplätze betrifft. Sie erfahren, welche Behörde für welche Aufgabe zuständig ist oder warum nicht überall Zebrastreifen angelegt werden können oder dass – wie in unserem Fall dieses Jahr – bereits eine öffentliche Toilette am Bahnhof existiert.
Erfolgreich ist ein Bürgerhaushalt dann, wenn alle drei Gruppen (Bürger*innen, Politik und Verwaltung) zufrieden sind. Das zeichnet ein harmonisches Verfahren aus. Brandenburg ist momentan Vorreiter bei Bürgerhaushalten. Ich selber nenne es gerne „Bürgerhaushaltsbundesland“ Brandenburg, die Stadt Frankfurt (Oder) nannte es in ihrer Beschlussvorlage „Brandenburg – Land des Bürgerbudgets“. Dabei bin ich mir im Klaren, dass das Bürgerbudget vor allem in kleineren und mittleren Kommunen gut funktioniert, aber noch kein Musterverfahren für größere Städte existiert. Ich kann auch nicht allgemeingültig für alle Kommunen sagen, welche Faktoren den Erfolg garantieren. Ich kann nur unsere wichtigsten Erfolgsfaktoren benennen: Unser Verfahren ist schnell erklärt, vergleichsweise kostengünstig (15.000 € Sachkosten), durchgängig transparent und liefert sichtbare Ergebnisse (mindestens sieben Vorschläge werden umgesetzt).
Vielleicht liegt es auch daran, dass Sie Beteiligungskultur sehr wörtlich nehmen?
Eines verrate ich schon mal: Sie sind nicht aus Schokolade. Wir wollten weder Klicks noch Kreuze zum Abstimmen. Irgendwie kamen wir dann zu den Stimmtalern - sie waren und sind eine optimale Lösung: niedrigschwellig, analog, haptisch. Mit den Stimmtalern wird wirklich abgestimmt. Jede*r Eberswalder*in ab 14 Jahren erhält 5 Stimmtaler, die dann auf die Vorschlagsvasen verteilt werden können (ob nun alle fünf in eine Vase oder verteilen - das ist den Eberswalder*innen überlassen).
Auch Bürgerhaushalte sind lernende Verfahren. Der Austausch mit anderen Städten und Gemeinden ist immens wichtig. Wir greifen sowohl auf das Bundesnetzwerk Bürgerhaushalt zurück als auch auf den Runden Tisch „Bürgerhaushalte in Brandenburg“ und auf gute persönliche Kontakte zu einigen Bürgerhaushaltskommunen. In Brandenburg haben zwar fast alle Kommunen die gleiche Satzung, aber überall gibt es eine individuelle Note. Hier in Brandenburg haben wir ja in der Grundstruktur sehr ähnliche Verfahren. Wir können also quasi benchmarken, uns vergleichen und voneinander lernen. Bei uns gibt es auch immer irgendetwas, das wir anders machen als im vorherigen Jahr.Vor allem für neue Städte und Gemeinden ist dieses Angebot von Interesse – denn es gibt kein perfektes Handbuch für einen erfolgreichen Bürgerhaushalt, das die einzelnen Schritte in der Verwaltungsarbeit aufzeigt. Auch erfahrene Bürgerbudgets können immer dazulernen.
In Glienicke beispielsweise können Kinder bereits ab 12 Jahre abstimmen. Was mich daran begeistert hat, war die Tatsache, wie stark sich die 12- und 13-Jährigen mit jedem einzelnen Vorschlag auseinandergesetzt haben. Aber es gibt auch nachteilige Entwicklungen andernorts. So wurden teilweise Quoren eingeführt oder lediglich Vorschläge im freiwilligen Aufgabenbereich ermöglicht. Ein Quorum wirkt eher abschreckend und nicht motivierend. Bezüglich der Aufgabenbereiche einer Kommune wissen viele Bürger*innen nicht, ob eine Aufgabe verpflichtend oder freiwillig ist - und das müssen sie aus meiner Sicht auch nicht. Glücklicherweise werden diese Einschränkungen und Hürden aufgehoben. Ein Beteiligungsverfahren muss schließlich einen offenen und aufgeschlossenen Eindruck machen.
Die Politik muss überzeugt sein. Sie überträgt schließlich einen Teil ihrer „Macht“ an die Bevölkerung. Wenn ich mir die Lage in Brandenburg so anschaue (wo sich fast alle Bürgerhaushalte auf Satzungen begründen, die durch eine politische Mehrheit beschlossen wurden), sehe ich allerdings kein Problem. Auch die Verwaltung muss offen sein. Sie muss das Verfahren umsetzen und in die bisherigen Abläufe etablieren. Was hierbei wichtig wäre, sind Anpassungsfähigkeit, eine Willkommenskultur für Ideen sowie das Selbstverständnis als Ermöglicher bzw. Möglichmacher. Wichtig ist auch, dass sich Bevölkerung respektiert fühlt. Das Beteiligungsangebot muss ernst gemeint sein und darf nicht nur zum Schein durchgeführt werden. Es gibt viele passive Bürger*innen, die erst wieder aktiviert werden müssen, sich zu beteiligen.
Die Stadtverwaltung wird als Ansprechpartnerin für Ideen und Wünsche gesehen, was nicht selbstverständlich ist. Weiterhin stärkt es (wie oben geschrieben) das Vertrauen, die lokale Identität und möglicherweise sogar das „Immunsystem“ gegen Demokratieverdrossenheit. Für die Verwaltung ist es vorteilhaft, dass uns durch den niedrigschwelligen Ansatz viele verschiedene Ideen, Anregungen und Wünsche erreichen. Hieraus können Potentiale und Themenbereiche abgeleitet werden, die momentan bedeutsam in der Stadtbevölkerung sind.
Ein Bürgerhaushalt ist ein lernendes Verfahren. Zu Beginn kann nicht alles schon perfekt sein. Auch wir haben uns erst dorthin entwickeln müssen, wo wir heute stehen und es ist noch nicht das Ende. In Eberswalde gab es drei Satzungsänderungen. Die erste Änderung senkte das Alter ab und so konnten Jugendliche bereits ab 14 Jahren teilnehmen. Des Weiteren führten wir eine Kostengrenze von 15.000€ und eine 3-Jahres-Sperrfrist ein. Demzufolge sind Vereine oder Organisationen, die Zuschüsse aus dem Bürgerbudget erhalten, für die folgenden drei Jahre gesperrt. Bei der zweiten Satzungsänderung wurde der Stichtag nach vorne verlegt, damit die Abstimmung im September und nicht mehr Ende Oktober stattfinden kann. Mit der dritten und bislang letzten Änderung wurden auch städtische Einrichtungen in den Geltungsbereich der Sperrfrist aufgenommen. Weiterhin sind Veranstaltungen wie z.B. Feiern oder Jubiläen ausgeschlossen worden.